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Welche taktischen Lehren lassen sich bis dato aus Operation Serval ziehen?

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Französische Fallschirmjäger vor Tessalit, Grafik: defense.gouv.fr

Der französische Malifeldzug ist hierzulande in der aktuellen Diskussion vor allem wegen seiner strategischen Auswirkungen und mehr noch wegen der einhergehenden außen- und bündnispolitischen Problemstellungen präsent. Abseits dieser – oft zu recht geführten – Diskussionen, lohnt auch ein Blick auf die Eindrücke der Militärs, auf die Kampferfahrungen der französischen Truppen und die taktischen Lehren der Operation. Welchem Feind tritt man in der malischen Wüste gegenüber? Wie agiert und reagiert man taktisch darauf? Wie operieren die französischen Truppen im gegebenen Terrain? In Frankreich sprechen sich beinahe drei von vier Bürgern “favorable” gegenüber Operation Serval aus, wie Midi Libre zuletzt schrieb. Aus diesem Grunde zeigt auch die französische Presselandschaft großes Interesse daran, Erfahrungsberichte, Interviews und Kommentare von Offizieren der kämpfenden Truppe zu drucken. Von den dort zu findenden Antworten auf die oben aufgeworfenen Fragestellungen sowie von den offiziellen Informationen des Ministère de la Défence soll im Folgenden eine kleine, überblickende Auswahl vorgestellt werden, wohlwissend, dass es sich dabei freilich nicht um militärinterne Berichte erster Hand handeln kann.

1) La guerre éclair: (Blitzkrieg)

Das Vorrücken der französischen Truppen ging in einem rasanten Tempo voran. Binnen weniger Tage konnten wichtige Städte wie Timbuktu, Gao, Kidal oder zuletzt Tessalit genommen und befreit werden. In der französischen Berichterstattung hat sich schnell der Begriff des Blitzkrieges etabliert. Eine Reihe kühner Manöver, basierend auf Geschwindigkeit und Überraschung, habe es ermöglicht, die Dschihadisten in den Norden des Landes zurückzudrängen, so le Général de Saint-Quentin, der Oberkommandierende der Operation Serval. Der Feindkontakt hielt sich dabei jedoch oft in Grenzen. Unter dem Eindruck der französischen Übermacht, in punktueller Unterstützung durch malische und andere afrikanische Truppen, und beeindruckt von den im Vorfeld erfolgten Luftschlägen, zogen sich die noch kampffähigen Dschihadisten in der Regel rechtzeitig vor den herannahenden Truppen zurück. Nennenswerten Feindkontakt hatten lediglich Spezialkräfte, worauf weiter unten noch näher einzugehen ist.

Dabei zeichnen sich die malischen Rebellen bis heute vor allem durch ihre hohe Mobilität aus. Mit Pickups, Geländewagen und leichter, oft improvisierter Bewaffnung sind sie in der Lage, schnell ihre Positionen zu wechseln. Zuweilen wurden Zivilisten und Wohngebiete als Deckung benutzt. Inzwischen sind auf Seiten der malischen Truppen auch Fälle von Minenopfern sowie ein Selbstmordanschlag, der einen malischen Soldaten leicht verletzt haben soll, bekannt. Unterstützt werden die französisch-afrikanischen Truppen ferner von der freundlichen Haltung der malischen Bevölkerung, die die Truppen oft als Befreier willkommen heißen. Vor allem Tuaregkämpfer nehmen einen  aktiveren Posten bei der Vertreibung von Dschihadisten ein. Sie sollen beispielsweise zwei wichtige Dschihadistenführer festgesetzt und einen Radiosender besetzt haben, jedoch verfolgen sie zuvorderst eigene Unabhängigkeitsbestrebungen.

Im Norden des Landes wird sich die Angriffsgeschwindigkeit künftig zwangsläufig verlangsamen. Der Mali-Feldzug stellt bislang eine logistische Meisterleistung dar, jedoch gilt es, über die immensen Entfernungen in Mali die Versorgungsrouten zunächst weiter zu stabilisieren. Ausländische Unterstützung für Lufttransporte und für das Feldlazarettwesen ist mittlerweile eingetroffen. Der wüste Norden des Landes ist etwa 1,5 mal so groß wie Frankreich und wird schwerlich in Gänze dauerhaft zu kontrollieren sein. Die verbündeten Truppen werden sich, so le Général de Saint-Quentin, auf die einzelnen Rückzugs- und Versorgungsorte der Dschihadisten konzentrieren, diese gezielt angreifen oder blockieren, um letztlich die Kräfte der Dschihadisten in der Wüste austrocknen zu lassen. Wieviele Dschihadisten bislang umgekommen sind oder gefangengenommen wurden, ist nicht klar. Der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian sprach zuletzt bei BFMTV von mehreren Hundert. Geschätzt werden von Jean-Dominique Merchet bei 2500 Kämpfern etwa 200-300 Opfer . Als größte Gefahren werden vom französischen Stab die hohe Mobilität des Gegners, auch über Staatsgrenzen hinweg, die weitere Ausdehnung der Versorgungslinien, die Unwägbarkeiten des Wüstenkrieges und eine eventuell zu erwartende Radikalisierung der Kampfweise, beispielsweise in Form von Selbstmordattentaten erwartet.

2) La guerre des avions de combat et des hélicoptères: (Kampfflugzeuge und Helikopter)

Eine Schlüsselrolle kommt den Luftstreitkräften der französischen armée de terre und armée de l’air zu. Mittlerweile dürften rund 200 Einsätze von Kampfflugzeugen gegen Ziele der Dschihadisten geflogen worden sein. Unterstützung bei der Betankung von Kampfflugzeugen in der Luft ist notwendig geworden. Zusätzlich betreibt die marine nationale von Dakar aus fünf Breguet Atlantic Aufklärungsflugzeuge für ein umfassendes Lagebild aus der Luft. Mir erscheint die Rolle der Kampfhubschrauber in Mali immens. Ein Interview mit le Général Gourlez de La Motte, Kommandeur der aviation légère des französischen Heeres, stellt dies deutlich heraus. Über zwanzig Kampfhubschrauber sind demnach in Mali im Einsatz, plus zwei Puma der französischen Luftwaffe mit belgischem Equipment für MedEvac-Aufgaben. Die Helikopter mit ihren spezifischen Operationsradien unterstützen dabei das Vorrücken der Bodentruppen im entscheidenden Maße, wobei sie von den Dschihadisten kaum effizient bekämpft werden können. Der erste gefallene französische Soldat ist zwar in den Reihen der aviation légère zu beklagen, sollte aber als trauriger Einzelfall zu betrachten sein. Laut le Général Gourlez de La Motte, hätte sich sogar bereits das US-Militär an die Franzosen gewandt, um künftig einen französischen Austauschausbilder für ihre Schulen zu erhalten, der die erfolgreiche Taktik und Einsatzerfahrungen aus dem Kampf der aviation légère lehren soll.

3) La guerre des forces spéciales: (Spezialkräfte)

Immer wieder wurden für strategisch wichtige Ziele hochprofessionelle Spezialkräfte der französischen Streitkräfte eingesetzt, etwa aus dem 1er Régiment de Parachutistes d’Infanterie de Marine, dem 4e Régiment d’Hélicoptères des Forces Spéciales oder dem Commando parachutiste de l’air n°10. Auch andere Staaten, wie etwa Kanada, haben Spezialtruppen entsandt, offiziell um kanadische Staatsbürger zu schützen. Die französischen Spezialkräfte bildeten stets die Vorhut, hatten teils heftigen Feindkontakt, laut La Voix du Nord unter anderem in Konna, Timbuktu, Nioni, Diabaly, Kidal, Aguelhok und zuletzt gemeinsam mit Soldaten aus dem Tschad, in Tessalit. So sollen die französischen Spezialkräfte vor Tessalit in der Nacht per Fallschirm ins Einsatzgebiet gelangt sein und zunächst den Flugplatz genommen haben. Schließlich seien sie erfolgreich in das 5000-Einwohner-Städtchen Tessalit vorgedrungen, wobei sie von weiteren Soldaten der 1er RCP, gepanzerten Fahrzeugen der 1er RIMa und Soldaten aus dem Tschad, die aus Gao dazustießen, unterstützt worden sein sollen.

Fazit:

Operation Serval ist ein äußerst schneller, aus der Luft gut vorbereiteter und professionell vorgetragener Vorstoß der französischen Truppen in Richtung Nordmali, teilweise unterstützt von eher schlecht ausgerüsteten und kaum ausgebildeten malischen und afrikanischen Truppen. Die schnellen Erfolge sollten allerdings nicht davor hinwegtäuschen, dass der Gegner in Mannstärke, Ausrüstung und Ausbildung massiv unterlegen ist. Der schnelle Vorstoß wird mit zunehmender Dauer auf dem unwegsamen, wüsten Terrain in einen asymmetrischen Krieg übergehen. Die Dschihadisten werden vermutlich aufgrund ihrer hohen Mobilität über die malischen Staatsgrenzen hinweg fliehen, und neu gruppiert Nadelstiche gegen die französisch-afrikanischen Truppen setzen. Vermehrte Selbstmordanschläge sind denkbar. Für die französischen und auch europäischen und afrikanischen Politiker und Strategen wird nun die Aufgabe sein, eine möglichst afrikanische Truppe zur Sicherung der Lage zu organisieren und das malische Militär ausreichend auszubilden und zu verstärken, damit die Dschihadisten nicht mittelfristig wieder Fuß fassen werden. Den Wunsch der Franzosen, ihre Truppen möglichst schon in wenigen Monaten wieder gänzlich abzuziehen, kann man nachvollziehen und hoffen, dass die Lage vor Ort dies erlauben wird.


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